Minimaoistische Blätter, in unterschiedlichen Reihen sparsam mit Maschinenschrift beschrieben, ergeben graphische Raster und bieten sich dem Uneingeweihten als nicht lesbar dar. Mit einmal 36 und einmal 57 Anschlägen finden sich zwei Konstanten. Geteilt durch die Zahlen von 1 bis 9 entstehen aus diesen verschiedenen Arrangements, symmetrisch und asymmetrisch, horizontal und vertikal ausgerichtet. Oliver Siebeck ließ sich hierzu von einer buddhistischen Stele aus dem China des 10. Jahrhunderts inspirieren, die für diese Sonderausstellung vom Raum für die religiöse Kunst Ostasiens hierher gebracht wurde. Sie zeigt. auf zwei Seiten, 5 mal 7 und 7 mal 8 Buddhafiguren, von jeweils einer einzelnen Figur gekrönt. Siebeck spürt der faszinierenden Klarheit und Zwangsläufigkeit in der scheinbar unbekümmerten Komposition der Stele nach und fügt der Richtung unseres Sehens eine neue Dimension hinzu. Jeder Anschlag auf den Schriftblättern ist ein Buddha, besteht aus den Buchstaben B, U, D, D, H und A, somit also doch lesbar, und das obendrein in alle Richtungen, in einer imaginären Tiefe ebenso wie senkrecht und waagerecht, von links nach rechts und vicd versa. Fläche und Körper, beides im Relief enthalten, werden aufgenommen und unter Einbeziehung einer vierten Dimension, der der Zeit, neu zusammengesetzt und zu einem neuen Netzwerk verknüpft.
Statt lediglich hinzunehmen schaut Oliver Siebeck genau hin und hinterfragt Seh- und Denkweisen. Sein Dialog mit einem Kunstwerk des Museums lässt das referenzierte Objekt in einem neuen Licht erscheinen und eröffnet dem Betrachter neue Wahrnehmungsebenen.
Ergänzt wird die Schau durch die Präsentation eines Filmes im Medienraum am Eingang zur Ostasiatischen Kunstsammlung, der vergleichbar asketisch daherkommt wie die Schriftblätter und über die zwingende Logik der Zeit einen Bezug zu denselben herstellt.

Uta Rahman-Steinert

(Begleittext zur Ausstellung in den Ostasiatischen Kunstsammlungen)