Die Schreibmaschine ist ein Apparat, der unsere Gedanken vermittelt. Doch sie verändert auch die Art und Weise, wie wir denken. Vilém Flusser, der Prager Medien- und Kulturphilosoph, hat dieses Gerät sein ganzes Leben lang verwendet, um seine Thesen und Techno-Spekulationen auszuformulieren. Flusser betrachtete die Schreibmaschine nicht einfach als ein Werkzeug für die mechanische Herstellung von Texten, sondern als ein Medium, das die Beziehung zwischen Autor*in und Schrift verändert. Er beschrieb diese Maschine als einen technischen Apparat, der den/die Autor*in von der unmittelbaren physischen Erfahrung des Schreibens entfremde: Während das handschriftliche Schreiben eine direkte Verbindung zwischen dem Schreibenden und der Schrift herstelle, schaffe die Schreibmaschine eine neue Form von Distanz. Diese Distanz sah Flusser als eine analytisch-phänomenologische Übung an, um komplexe, mitunter widerständige Gedanken durch den widerständigen Tastendruck in das Papier zu imprägnieren (er verwendete bis zuletzt klassische mechanische Schreibmaschinen und sah bewusst von Computer-Textprozessoren oder elektronisch unterstützten Schreibmaschinen ab, die den tippenden Fluss der Hände unterstützen).
Mithilfe dieses Geräts konnte Flusser zudem auch einen mehrsprachigen Nachlass hinterlassen: Essays, Buchmanuskripte und Korrespondenzen auf vier Sprachen, alle mit den Buchstaben der Maschine auf Papier getippt – und eben durch durchdrückendes Kohlepapier kopiert und somit, auch wenn er Manuskripte versendete, gleich für sein eigenes Archiv (und somit für das spätere Vilém Flusser Archiv) aufbewahrt. Er korrigierte seine Worte nur selten, wodurch sein Schreibstil oft näher an der gesprochenen Sprache als an klassischen geschriebenen Texten liegt.
Das monotone Geräusch, das durch diesen Apparat entsteht, wirkt sich auch stark auf unseren Schreibrhythmus und unsere Denkprozesse aus. “Tak, Tak, Tak, Tak...” - dieses Geräusch und sein Stakkato vergisst man nicht, wenn man ständig damit arbeitet.
Oliver Siebeck hat viel mit Vilém Flusser gemeinsam: Als Schauspieler spielt gesprochene Sprache eine große Rolle in seinem Leben und auch die Schreibmaschine fördert und fordert seine bildende künstlerische Praxis heraus: Sie limitiert und zugleich strukturiert das Denken und seine Manifestation auf Papier. Er arbeitet mit Biografien und Listen von Lebensdaten ihm wichtiger Menschen, die sich in repetitiver Tastenarbeit überlagern, mitunter unleserlich werden und dabei reliefartige Strukturen herstellen. All diese Listen sind laut ihm “lesbar oder unlesbar, endlich oder unendlich, betonen ein Nacheinander oder sind zufällig auf Blätter verteilt”. Flussers „Biografie“ – im reduktionistischsten Sinne denkbar, durch die Auflistung der Jahreszahlen seiner Lebensspanne – wurde in dieser Reihe verarbeitet und man könnte spekulieren, dass die beiden Herren einander durch den erwähnten Apparat und seine Geräusche gefunden haben. Das Papier wurde von beiden Autoren maximal ausgenutzt – womit auch Walter Benjamin einverstanden gewesen wäre, der seine Notizbücher maximal ökonomisch in kleiner Schrift und ohne Rand ausnutzte. Auch Flusser nutzte fast jeden Millimeter der Seiten für seine Texte aus, während Siebeck eine andere Technik entwickelt hat: Er tippt den Text mehrmals auf das Papier, um mehrere Schichten der Story, die er erzählen möchte, zu überlagern und zu betonen.
Laut Flusser stellen die Tasten auf der Tastatur einen Code dar, der in Buchstaben umgewandelt wird. Der/Die Autor*in muss nicht mehr jeden Buchstaben einzeln formen, sondern kann ihn einfach eingeben. Dadurch hat das Schreiben an Geschwindigkeit und Effizienz gewonnen, aber es geht auch ein Stück persönlicher Individualität verloren. Siebecks Werke setzen sich genau dagegen ein: Mit seiner Technik drückt er seine künstlerische Identität auf individueller Ebene aus.
Letztlich ist die Schreibmaschine auch eine wichtige Instanz für den Übergang von einer handschriftlichen Kultur zu einer Kultur maschinell hergestellter Texte. Flusser sah in der Schreibmaschine eine Vorahnung des Computerzeitalters, in dem das Verhältnis zwischen Menschen und Schrift endgültig von Maschinen – immer stärker zur Opazität neigender Apparate – vermittelt würde. Heute, im Umbruch vom Informationszeitalter zu einem noch zu definierenden Zeitalter KI-generierter Textmassen wirkt die Schreibmaschine fast schon nostalgisch. Dennoch bleibt sie ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Schriftkultur – und Oliver Siebecks Werke erinnern uns daran.

Dr. Anita Jóri