ca. 1000 Blätter, Schreibmaschine und Tusche auf Papier (je 19,5cm x 19,5cm)
Jedes Blatt enthält eine Auseinandersetzung mit allen oder mit einem Buchstaben des Alphabets oder mit einer äußeren Form, die sich aus dieser Auseinandersetzung ergab - in serieller Permutation, in additiver Listung, in je unterschiedlicher Darstellung.
Ausstellung: Instituto Cervantes, Berlin (2006) / Fundacíon Pasaje 865, Buenos Aires, Argentinien (2011).
Das große mechanische Spiel mit dem Material aus dem wir Sinn machen
Oliver Siebecks Alphabete sind nahezu unzählige kleinformatige quadratische Blätter, mal gelb mal rot mal blau mal schwarz eingefärbt, mal naturweiß belassen, auf denen sich, jeweils präzise in der Mitte, quadratische Muster finden. Mal erkennt man auf den ersten Blick, dass es sich um Muster handelt, die aus Schreibmachinenlettern bestehen; tanzende Buchstaben, angeordnet in mal wilder und mal strenger Symmetrie. Mal erkennt man die Schreibmaschinenlettern erst nach längerem Hinschauen, sie wurden mehrfach übereinander in das Blatt geschlagen, verwischen und vermischen sich zu Rauten-, Ketten- oder Maschenformationen, in denen inselweise ein I oder ein i oder ein E sich als es selbst erkenntlich zeigt. Und mal hat man schlicht und einfach oder nahezu unendlich komplex eine schwarze Fläche vor sich, die, weil sie durch das nahezu ewig wiederholte Einstanzen der Lettern über Lettern ins Papier dreidimensional geworden ist, Schattenspuren zeigt, Spurrillen des l flirren darin auf, licht durchkreuzt von gebogenen Gräben des c. Einige wenige der Blätter, systematisch mit einem Zeichen außerhalb des eigentlichen Alphabets arbeitend, zeigen Quadrate aus dem _, dem Zeichen für alle Zeichen, dem Platzhalter. Sie machen das Raster des Spielfelds sichtbar, auf denen Oliver Siebeck sein großes mechanisches Spiel mit dem Alphabet, dem Material aus dem wir Sinn machen, unternahm.
Es ist kein Zufall, dass die Alphabete mit einer mechanischen Schreibmaschine hergestellt wurden. Man kann sie nicht mit einem anderen Schreibwerkzeug wiederholen. Denn wenn die Alphabete etwas abbilden, dann bilden sie, ganz im Abstrakten, genau die Produktionsästhetik der mechanischen Schreibmaschine ab. Ein Schreibwerkzeug, das jedem einzelnen Zeichen eine eindeutige, immer so und genau so wiederholbare Gestalt gibt. Jeweils eine monotype Letter mit Serifen, was bedeutet, dass jedes dieser Zeichen genau die gleiche Menge an Raum auf einem Blatt Papier einnehmen wird, das zur Beschriftung auf eine Walze zu spannen ist. Es ist egal, ob das eigentlich breite "m" oder eigentlich schmale "i" angeschlagen wird; die Walze wird zuverlässig um die gleiche Menge an Millimetern weiter rücken und auf den Anschlag des nächsten Zeichens warten, das die Maschine ins Papier zu stanzen hat. Anders als die elektrische Schreibmaschine übersetzt die mechanische die Kraft des Anschlages direkt. Wird ein Buchstabe leicht angeschlagen, wird er flach und blass auf dem Papier erscheinen, bei starkem Anschlag hinterlässt er eine kräftige und tiefe Spur. Siebecks Anschlag macht die Schreibmaschinenhandschrift der Alphabete aus, die jedes dieser Blätter zu einem Unikat macht.
Thomas Goldstrasz
Die Alphabete sind meine Obsession, meine Permutation, meine Isolation. Die 26 Buchstaben halten in ihren Maschen alles fest und sind weit genug, dass ein Pferd hindurch springen kann. Sie sind die 676 (26x26) Grenzen der Welt in einer einzigen Bewegung. Sie sind das Chaos der Bedeutung und die Wüste der Entropie.
Und von all diesem sind sie immer nur das Bild.
Oliver Siebeck